Stell dir vor, du müsstest dir dein Traumleben einfach nur intensiv vorstellen… und es kommt zu dir, einfach so. Geld, Liebe, Erfolg, das perfekte Leben, alles ist möglich. Willkommen im Kosmos des „Law of Attraction“, das bei uns als das Gesetz der Anziehung bekannt ist. Die Idee dahinter: Gleiches zieht Gleiches an. Wer positiv denkt, zieht Positives an. Es zieht Fülle, Wohlstand und sogar Wunder an, jedenfalls behaupten das einige.
Spätestens seit dem Film und Buch The Secret ist das Konzept weltweit bekannt geworden. Seitdem versprechen Coaches, Autor:innen und Influencer:nnen: Wenn du deine Gedanken änderst, ändert sich deine Realität. Nicht, weil du dann bewusster entscheidest, sondern weil „das Universum“ angeblich antwortet. Millionen Menschen haben sich seither auf den Weg gemacht, mit ihren Gedanken ihr Leben zu erschaffen. Von der Couch aus.
Worum geht es beim „Gesetz der Anziehung“?
Das Wichtigste vorweg: das „Gesetz der Anziehung“ ist kein physikalisches Gesetz, auch wenn der Begriff es vermuten lässt. Es handelt sich um ein esoterisches Prinzip, das davon ausgeht, dass unsere Gedanken eine energetische Frequenz aussenden und das Universum darauf reagiert. Bekannt wurde das Konzept durch das Buch und den Film The Secret, in dem Prominente und Coaches erzählen, wie sie durch Gedankenkraft Wohlstand und Gesundheit manifestiert haben.
Später griffen es Autor:innen und Influencer:innen wie Louise L. Hay oder Esther Hicks auf. Heute ist es ein fester Bestandteil im Repertoire vieler Online-Coaches und Esoterik-Influencer:innen. Die Grundidee bleibt dabei immer gleich: Du musst nichts verändern, du musst es dir nur perfekt vorstellen. Wer sich beispielsweise Reichtum wünscht, soll sich so fühlen, als wäre dieser Reichtum bereits da. Es geht nicht nur um Visualisierung, sondern um ein vollständiges emotionales Eintauchen. Das eigene „Schwingungs-Niveau“ entscheidet über den Erfolg.
Es gibt keinen wissenschaftlichen Nachweis für diese Wirkmechanismen. Das Gesetz der Anziehung funktioniert, wenn überhaupt, als Glaubenssystem. Und genau das macht es so anpassbar und so gut verkaufbar. Warum das so ist, erfährst du jetzt.

Manifestieren, monetarisieren, multiplizieren
„Manifestation“ ist die inzwischen bekannte esoterische Praxis, um das Gesetz der Anziehung anzuwenden. Das bedeutet: Du verhältst dich so, als wäre dein Wunsch schon Realität. Die Empfehlungen dazu sind teils skurril, und doch weit verbreitet. Wer z. B. eine:n Partner:in manifestieren will, soll auf nur einer Bettseite schlafen oder beim Essen einen leeren Teller gegenüberstellen, um dem Universum zu signalisieren, dass du bereit bist. Manche machen Platz im Kleiderschrank, für Kleidung, die dem/der zukünftigen Seelenpartner:in gehören könnte.
Der Gedanke dahinter: Du musst dich nicht nur nach dem Ziel sehnen, du musst dich intensiv einfühlen, als wäre es bereits da. Du sollst dein ganzes Leben danach ausrichten, und zwar emotional, energetisch, räumlich. Aktiv werden? Handeln? Entscheidungen treffen? Fehlanzeige. Das Universum übernimmt es für dich. Und genau hier beginnt die Passivmachung, die als Selbstermächtigung verkauft wird.
Zudem entsteht eine problematische Abwärtsspirale: Wenn der gewünschte Erfolg ausbleibt, liegt es nicht etwa an der Methode, sondern an dir. Du warst nicht offen genug, nicht hoch genug in der Schwingung, nicht richtig ausgerichtet. Die Lösung? Weitere Kurse, weitere Programme, weitere Bücher. Du sollst noch mehr investieren, damit du deinem großen Ziel näher kommst. So bleibt das System stabil, und du in der Abhängigkeit.
Wenn’s so viele machen – warum funktioniert’s nicht?
Man könnte sich fragen: Wenn mittlerweile Millionen Menschen weltweit an das Gesetz der Anziehung glauben, warum sind dann nicht alle reich, frei und erfüllt? Warum manifestieren sich fast alle das Gleiche, also Geld, Seelenpartner, Haus am Meer, und wo sind diese vielen überglücklichen, wohlhabenden Menschen? Vielleicht, weil diese Wünsche gar nicht aus einem echten Inneren kommen, sondern aus dem, das die Welt einem ständig einredet: dass man nicht genug sei, so wie man ist.
Selbst die, die das Gesetz der Anziehung über teure Online-Kurse und andere Wege verkaufen, erreichen ihre Wünsche nicht. Sie bekommen nicht die Show, die sie sich wünschen. Sie sind selbst in Psychotherapie, die Partnerschaften halten nicht, das Glück bleibt aus, und doch hält sich der Glaube: Vielleicht klappt es ja doch, irgendwann, irgendwie. Wie beim Lotto, bei einem oder ein paar Auserwählten funktioniert es dann ja doch.

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Wunschdenken als Geschäftsmodell – und was das mit uns macht
Das Gesetz der Anziehung funktioniert – aber nicht als metaphysisches Prinzip. Es funktioniert als Geschäftsmodell. Es verspricht einfache Lösungen für komplexe Leben. Es verkauft Hoffnung, verpackt als „Energiearbeit“. Und es hält Menschen davon ab, Systeme zu hinterfragen. Wer glaubt, seine Realität selbst erschaffen zu können, sucht die Schuld nur noch bei sich, und nicht mehr bei gesellschaftlichen Strukturen.
Und noch ein Widerspruch, der nie thematisiert wird: Viele Influencerinnen vermitteln ihren Follower:innen sowohl Achtsamkeit als auch das Gesetz der Anziehung, was vollkommen widersprüchlich ist. Während Achtsamkeit eine spirituelle Praxis ist, die uns lehrt, im Moment zu sein, ohne etwas verändern zu wollen, basiert das esoterische Gesetz der Anziehung auf dem Gegenteil: dem Wunsch, woanders zu sein. Nicht annehmen, sondern erschaffen. Nicht loslassen, sondern kontrollieren.
Was das „Gesetz der Anziehung“ wirklich ist
Vielleicht ist das Wichtigste, was man über das Gesetz der Anziehung verstehen kann, dass es weniger ein esoterisches Werkzeug ist als ein geschicktes Geschäftsmodell. Es klingt nach Wissenschaft, nach Energie, nach universellen Gesetzen; in Wahrheit ist es einfach nur ein System, das vor allem eins verkauft: Hoffnung.
Und Hoffnung verkauft sich gut. Besonders dann, wenn man Menschen mit Nachdruck vermittelt, dass ihr Leben eigentlich besser sein müsste. Dass sie endlich ihr Traumleben leben müssen. Positiver denken, erfüllter leben, die richtige Energie haben – all das gibt es für ein paar hundert Euro im nächsten Online-Kurs.
Was dabei oft übersehen wird: Dieses System lebt davon, dass wir uns dauerhaft im Mangel bleiben. Dass wir glauben, noch nicht genug zu sein. Noch nicht genug zu haben. Und während wir uns bemühen, unser Energie-Level zu steigern und uns unsere Zukunft intensiv vorzustellen, füllen wir die Kassen derer, die uns sagen, dass es noch nicht reicht.
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