Nachhaltigkeit

Ist Papier wirklich besser als Plastik?

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Ist Papier besser als Plastik? Eine Einordnung

Es ist schon ein paar Jahre her, als ich meinem Biomarkt eine E-Mail schrieb und fragte, warum sie in der Gemüseabteilung noch immer Plastiktüten verwendeten statt Papiertüten. Für mich passte das nicht zur Idee von Nachhaltigkeit. Die Antwort kam freundlich, aber deutlich: Papier sei nicht automatisch umweltfreundlicher. Im Gegenteil, die Herstellung verbrauche viel Energie, Wasser und Chemikalien. Viele Papiertüten seien schwer recycelbar, besonders wenn sie nass oder beschichtet sind. Am sinnvollsten sei es daher, eigene Beutel mitzubringen.

Diese Rückmeldung hat mein Bild damals ins Wanken gebracht. Bis zu diesem Tag hatte ich mich auf ein Symbol verlassen, das hieß: Papier gut, Plastik schlecht. Papier = Natur, Bäume, Zerfall, Kreislauf. Plastik = Erdöl und Meeresmüll, der nicht verrottet. Zwei Bilder, die nicht von mir kamen, sondern sich über die Zeit durch Außenwahrnehmung, Medien, Werbung und Verpackungsdesign eingeprägt haben. Und so geht es bis heute vielen.

10 Aspekte, die bei Papier oft übersehen werden

  1. Hoher Wasser- und Energieverbrauch: Die Herstellung von Papier ist besonders bei gebleichtem, beschichtetem oder bedrucktem Material sehr ressourcenintensiv. Frischfaserpapier verbraucht dabei etwa 2-3 Mal so viel Wasser wie die Herstellung von Kunststoff. Gerade bei Verpackungen oder Hygienepapier ist der Aufwand erheblich.
  2. Papier ist recycelbar, wird aber oft nicht recycelt: Viele Papierverpackungen könnten theoretisch recycelt werden, landen aber in der Praxis im Restmüll, z. B. weil sie verschmutzt, beschichtet oder falsch entsorgt wurden. Der Kreislauf bleibt häufig eine Illusion.
  3. Einsatz von Chemikalien: Für weißes Papier werden Chlorverbindungen, optische Aufheller und Leimstoffe verwendet. Diese belasten Umwelt und Gesundheit, auch im späteren Recyclingprozess.
  4. Einweg bleibt Einweg, auch bei Papier: Papierverpackungen werden meist nur einmal verwendet, genau wie Plastik. Der Unterschied liegt hierbei in erster Linie im besseren Image, nicht in der tatsächlichen Nutzung.
  5. Kaffeebecher mit Kunststoffbeschichtung: Die meisten To-go-Becher bestehen aus Papier mit einer dünnen Plastikschicht. Sie sind dadurch nicht recycelbar, obwohl sie auf den ersten Blick „nachhaltig“ wirken.
  6. Rodung und Monokulturen für Zellstoff: Für Frischfaserpapier werden Wälder gerodet, oft in Südamerika oder Asien. Die anschließenden Monokulturen (z. B. Eukalyptus) schädigen Böden, verdrängen Biodiversität und benötigen große Mengen Wasser.
  7. Verpackungswahnsinn im Nachhaltigkeitslook: Viele als „nachhaltig“ oder „grün“ deklarierte Produkte kommen in auffällig viel Papier daher. Nicht weil es nötig wäre, sondern weil es besser aussieht. Der ökologische Vorteil bleibt oft aus.
  8. Mangelnde Nutzung von Recyclingpapier: Viele Papierprodukte, z. B. Hygienepapier oder Verpackungen, bestehen weiterhin aus Frischfaser, obwohl Recyclingpapier technisch problemlos möglich wäre.
  9. Irreführende Begriffe und Siegel: Wörter wie „biologisch abbaubar“ oder „FSC-zertifiziert“ vermitteln Nachhaltigkeit, sagen aber nichts über die tatsächliche Umweltbilanz eines Produkts aus.
  10. Papier stammt nicht immer aus regionaler Produktion: Auch wenn Papier als „heimisch“ wahrgenommen wird, wird der Zellstoff dafür oftmals importiert, beispielsweise aus Südamerika, Skandinavien oder Südostasien. Der Transportweg bleibt dabei meist unsichtbar.
Papier gut, Plastik schlecht - Ein Faktencheck
Drei Worte, drei Materialien – eine uns vertraute Rollenverteilung: Plastik gehört reduziert, Metall wiederverwendet, Papier recycelt. Papier erscheint automatisch als der „gute“ Rohstoff, auch wenn es das in der Realität häufig nicht ist.

Plastik ist nicht immer schlimmer – Papier nicht automatisch besser

Plastik hat zurecht ein schlechtes Image. Es basiert auf fossilen Rohstoffen, zersetzt sich nicht und verbleibt schlimmstenfalls mehrere hundert Jahre in der Umwelt. Gleichzeitig ist es vielseitig einsetzbar, langlebig und leicht. Entscheidend ist oft nicht das Material, sondern wie es genutzt und entsorgt wird. Papier gilt als umweltfreundlicher, weil es sich zersetzt und aus natürlichen Rohstoffen besteht.

Das wirkt nachhaltig, ist es aber nicht automatisch. Herstellung, Transport und Entsorgung verbrauchen ebenfalls viele Ressourcen. Das Bild, dass Plastik meist im Meer landet, trifft auf Länder wie Deutschland nicht zu. Ein Großteil wird korrekt entsorgt und recycelt. Bei Papier klappt das seltener: Beschichtungen, Verschmutzungen oder falsche Entsorgung führen oft dazu, dass es im Restmüll endet.

Wir denken nach – Politik und Industrie macht weiter

Viele Menschen wollen etwas verändern, wenn sie Bilder oder Nachrichten sehen, die bewegen. Schildkröten im Netz, Strände voller Plastik, Mikroplastik in Wasserproben. Bei vielen entsteht der Impuls, das eigene Verhalten zu überdenken. Und dabei landet man schnell in einer kleinteiligen Abwägung: Papier oder Plastik? Versand oder Abholung? Tetrapak oder Glas? FSC oder kein Siegel?

Der Druck, immer die richtige Wahl zu treffen, entsteht nicht zufällig. Die Verantwortung wird hier gezielt verschoben, von Politik und Wirtschaft hin zu einzelnen Verbraucher:innen. Und das nutzen viele Unternehmen für sich. Wer mit „plastikfrei“ auf seinen Produkten wirbt oder ein Siegel zeigt, wirkt verantwortungsvoll, unabhängig davon, ob sich am eigentlichen Handeln wirklich etwas ändert.

Während wir uns also durch Produktdetails navigieren, bleiben die großen Hebel meist unangetastet: Herstellung, Lieferketten, gesetzliche Vorgaben. Das bedeutet nicht, dass unsere Entscheidungen bedeutungslos sind. Aber sie sind eben nur ein kleiner Teil. Es sollte eigentlich nicht die Aufgabe von Konsument:innen sein, die umweltfreundlichste Verpackung wählen zu müssen, sondern die Verantwortung von Unternehmen und Politik, dafür zu sorgen, dass ausschließlich umweltverträgliche Optionen überhaupt im Umlauf sind.

Die ständige Entscheidung: Papier oder Plastik?
Zwei Optionen. Die nachhaltigste ist: Gar keine Verpackung!

Fazit: Nachhaltigkeit beginnt nicht bei der Verpackung

Ich habe mir selbst viele Jahre lang den Kopf darüber zerbrochen, wie ich nachhaltiger konsumieren kann. Aber je länger ich mich damit beschäftigte, desto klarer wurde: Es gibt kaum Entscheidungen, die wirklich „richtig“ sind. Und wer ehrlich ist, stellt irgendwann fest, dass einen das stille Gefühl des Scheiterns permanent begleitet.

Wenn ich einkaufen möchte, beginnt das Gedankenkarussell zu kreisen: Fahre ich mit dem Auto zum 40 Minuten entfernten Unverpackt-Laden, um Verpackungen zu vermeiden? Oder kaufe ich lieber beim Biobauern um die Ecke, auch wenn vieles verpackt ist? Diese Art von Abwägung begleitet viele Menschen heute ständig und zeigt, wie schwer es ist, in einem System, das auf Masse und Verfügbarkeit ausgerichtet ist, überhaupt nachhaltig zu handeln.

Papier hat ein gutes Image, Plastik ein schlechtes. Aber dieser Gegensatz hilft selten weiter. Beide Materialien haben ihren Platz und beide bringen Herausforderungen mit sich. Ob etwas wirklich nachhaltiger ist, lässt sich oft nicht pauschal sagen. Es hängt vom Einsatz, vom Produkt, von der Herkunft sowie Haltbarkeit ab – und davon, wie wir es verwenden.

Rund 11 Millionen Tonnen Lebensmittel landen in Deutschland jedes Jahr im Müll. Verpackt in Plastik, Papier, beidem zusammen oder anderen Materialien.

– Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (Quelle)

Vieles liegt nicht in unserer Hand und das muss es auch nicht. Wir können aber bewusster entscheiden, ohne uns von Schlagwörtern wie plastikfrei unter Druck setzen zu lassen. Es geht daher meiner Meinung nach nicht um Perfektion, sondern darum, mit Herz, Verstand und ein wenig mehr Gelassenheit darüber nachzudenken, wie wir grundsätzlich konsumieren wollen. Weniger ist manchmal einfach mehr.

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Geschrieben von
Ute Kranz

Als Gründerin dieses Online-Magazins teile ich seit 2013 meine Begeisterung fürs Reisen und eine bewusste Lebensgestaltung. Seit einigen Jahren beschäftige ich mich zudem verstärkt mit gesellschaftlich relevanten Themen.

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Ute Kranz

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