Nachdem ich mich vor einigen Tagen überraschend auf einer Fortbildung mit dem Coronavirus angesteckt habe, wurde mir noch einmal bewusst, dass die Pandemie immer noch nicht hinter uns liegt. Die Gedanken dazu brachten mich zurück zu den Anfängen in 2020, einer Zeit voller Unsicherheiten, Ängste und dem starken Drang vieler, sich den damaligen Einschränkungen zu widersetzen und ihre Freiheit zu verteidigen.
Getreu der bereits im 17. Jahrhundert erlangten Erkenntnis des französischen Philosophen Blaise Pascal, „das ganze Unglück der Menschen rühre allein daher, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen“, kam im wahrsten Sinne des Wortes ein gewaltiger Vanlife-Trend ins Rollen: Dem Klimawandel, dem Pariser Klimaabkommen und der Verkehrswende zum Trotz überfluteten plötzlich massenweise tonnenschwere Freizeitfahrzeuge die Straßen, Campingplätze, Waldränder, Parkplätze und Autobahn-Raststätten.
Angesichts der künstlich entstandenen Verknappung mangels alternativer Reisemöglichkeiten sprangen Unternehmen, Influencer:innen, TV-Sender, Leitmedien, Magazine und Verkehrsclubs – allen voran der ADAC – dankend auf den rollenden Zug auf und trugen maßgeblich zu einer völlig übertriebenen Romantisierung des Wohnmobils bei. Dem noch nicht genug, wurde Vanlife skurrilerweise als umweltfreundlich vermarktet, denn man fliegt ja schließlich nicht!
Was gerade noch das einfache Camping für jedermann war, wurde nun plötzlich zum sexy grünen Lifestyle im klobigen Kastenwagen hochstilisiert.
Dabei wurde der Abgas-Skandal 2020/2021 lediglich als Randnotiz wahrgenommen: einige Modelle von FiatChrysler und VW zeigten Überschreitungen der Grenzwerte für das gesundheitsschädliche Stickoxid um das bis zu 19-fache. Wer jetzt denkt, dass solche gravierenden Überschreitungen zu einem sofortigen Fahrverbot, einer Stilllegung oder umgehenden Nachrüstung der mehr als 200.000 betroffenen Fahrzeuge führen würden, hat sich im Autoland Deutschland getäuscht. Bis heute fahren diese großen Kfz durchs Land und belasten Menschen, Tiere und Umwelt.
Warum der Hype vorbei ist – Wenn Kommerz auf Romantik trifft
Wie jeder Trend auf Social Media ging also auch dieser erwartungsgemäß nach ein paar Jahren zu Ende. Der Rückgang des Vanlife-Trends ist allerdings nicht allein auf die Vergänglichkeit eines Hypes zurückzuführen, sondern auch auf eine Vielzahl realer Herausforderungen und skurriler Widersprüche. Neben der verklärten Darstellung auf Instagram spielte eine entscheidende Rolle, wie Wohnmobile von vielfältigen einflussreichen Accounts, Unternehmen und Magazinen vorangetrieben wurden.
Statt der romantisierten Sonnenuntergänge und Freiheitsgefühle sahen sich viele Reisende mit überfüllten, überteuerten, lauten Campingplätzen, sterilen Beton-Stellplätzen, gewöhnungsbedürftigen Sanitäranlagen und einem oft sehr rudimentären Leben in sehr engen Fahrzeugen konfrontiert. Viele haben zudem nicht damit gerechnet, wie intensiv sich die Fahrzeuge im Sommer – vor allem in den heißen Mittelmeerregionen – erhitzen und zu schlaflosen Nächten führen können. Von Regentagen und Kälteeinbrüchen ganz zu schweigen.
Das Duschen in einfachsten Sanitäranlagen, das Hantieren mit den eigenen Fäkalien aus der Campingtoilette und das ständige Spülen von Geschirr stehen im harten Kontrast zu einer Zeit, die sich nach maximalem technischen Komfort sehnt.
Viele hatten nicht damit gerechnet, dass die Ausgaben für solch ein riesiges Gefährt erheblich sein können. Die Inflation, die in den letzten Jahren zugenommen hat, hat diese Kosten weiter erhöht. „Im Allgemeinen verzeichnen junge Gebrauchtfahrzeuge derzeit den stärksten Preisverfall“, heißt es in einem Artikel von Anfang des Jahres von Caravanmarkt24. Dort hieß es im Januar „Verkauf jetzt sinnvoll“, da sich der überdurchschnittlich hohe Wertverlust weiter verschärfen würde. Und heute suchen Tausende Fahrzeuge einen neuen Besitzer…
Der Preis des Vanlife- und Wohnmobil-Wahns: Wer jetzt die Last trägt
Auch ein Blick auf die aktuellen Feeds der einst bekanntesten und glücklichsten Vanlife-Reisenden auf Instagram zeigt schnell: Die voluminösen Blechdinger auf Stränden und Waldwegen, dekoriert mit Lichterketten und schicken Decken, sind virtuell auf wundersame Weise verschwunden. Neue Vanlife-Bücher waren in diesem Jahr kaum noch zu finden, und Magazine wie „einfach los“ wurden bereits Anfang letzten Jahres wegen Unwirtschaftlichkeit eingestellt.
Im echten Leben hingegen sind sie omnipräsent: die einst heiß begehrten und liebevoll mit Kosenamen versehenen Kastenwagen, vor sich hin gammelnd unter Autobahnbrücken, auf öffentlichen Parkplätzen oder in Sackgassen am Stadtrand. Das Dauerparken im öffentlichen Raum ist für Wohnmobile legal, diesbezüglich gibt es keine Regeln. Angesichts der aktuellen und zukünftig zu erwartenden politischen Haltung scheint es unwahrscheinlich, dass sich daran irgendetwas ändern wird.
In Großstädten wie Köln und vielen anderen prägen immer größere Fahrzeuge das Stadtbild. Städte verlieren zunehmend an Ästhetik und die Sicherheitsrisiken steigen durch die eingeschränkte Sicht an vielen Stellen, besonders für Fußgänger und Fahrradfahrer. Mit der Dauerbesetzung von öffentlichem Raum durch diese riesigen Fahrzeuge gehen den Anwohnern Plätze verloren, die sie täglich bräuchten. Die aufwändigere Suche nach Parkplätzen führt wiederum zu erhöhten Emissionen und Reifenabrieb. And so on.
Die kommerziellen Protagonisten haben seinerzeit bei ihrer massiven, eigennützigen Werbeoffensive für Fahrzeuge, die neu mindestens 70 Tonnen Ressourcen weltweit verbrauchen, logischerweise nicht danach gefragt, ob die Allgemeinheit das Überangebot an überwiegend weißen Blechkarawanen mit all seinen sozialen, gesundheits- und umweltschädlichen Auswirkungen einverstanden ist.
Nun sind wir es, die mit diesen Beeinträchtigungen leben müssen, die uns noch über viele Jahrzehnte begleiten werden – von den enormen Einbußen touristischer Einnahmen durch Wildcamper ganz abgesehen.
Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt.
Vielleicht auch interessant
- 10 Gründe, warum Vanlife nicht nachhaltig ist
- 10 Mythen, die uns über’s Vanlife erzählt werden
- 20 Dinge, die man über Verbrenner wissen sollte
- Meine Petition gegen das Dauerparken von Wohnmobilen & Vans
- Wie Outdoor-Trends der Natur schaden: Wildcamping, Vanlife & Mikroabenteuer
- 7 Fakten, die man über den ADAC wissen sollte
Wow, was für ein unglaublich toller Text mit gleichzeitig unglaublich frustrierendem Inhalt. Jetzt schwanke ich zwischen Schadenfreude und Verärgerung :-) Die Konsumgier der Menschen ist wirklich schrecklich und widert mich immer mehr an, ob im Supermarkt oder auf Social Media. Ich weiß auch keine Lösung, vielleicht aufs Land ziehen? Oder ganz woanders hin? Mit Kids leider nicht so einfach. Danke für diesen Beitrag!
Hi Robert,
Danke für deinen Kommentar und das schöne Kompliment! Die Flut von Autos oder das große Rauschen, wie mein Gehör es ausdrücken würde, finde ich wirklich belastend und frage mich auch, ob es auf dem Land besser wäre. Ich fürchte, für mich wäre es nicht das Richtige, zumindest habe ich noch keinen Ort gefunden, wo es mir besser gefallen würde (außer vielleicht im Wendland); auf dem Land wäre ich dann allerdings gezwungen, vermehrt ins Auto zu steigen und das wäre ja eigentlich kontraproduktiv. Finde ich gut, dass du dir Gedanken zu dem Thema machst.
Viele Grüße
Ute
Liebe Ute, schön, dass man auf deinem Blog wieder Kommentare hinterlassen darf!
Wichtiges Thema, guter Text. Schade finde ich (diesmal) nur, dass es keine Zuversicht am Ende gibt (Stichwort konstruktiver Journalismus, wir hatten’s ja schon davon). Hast du eine Idee, was man gegen das Problem machen kann?
Ich denke, dass in unserer kapitalistischen Gesellschaft bei so einem derart riesigen Problem nur wieder eine neue Geschäftsidee (oder die Politik, aber die versagt ja) helfen könnte. Ich meine damit, dass man einen Nutzen für all die unzähligen Kastenwagen-Leichen findet. Schön fände ich zum Beispiel, dass man für jeden Wagen einen Naturkindergarten eröffnet und je einen bis zwei Kastenwagen als Schutzraum dazu gestaltet. Eventuell lassen sich durch Umbaumaßnahmen ja auch mehrere Wagen miteinander verbinden und es könnte neuer Wohnraum entstehen…Tiny-House-Gebiete bestehend aus alten Campern etc.?!
Ich weiß, dass sind fantastische Spinnereien, aber der Ist-Zustand ist einfach unerträglich und sollte nicht so stehen gelassen werden. Ich hoffe, es tut sich was in der Politik-Landschaft.
Ganz liebe Grüße
Tatjana
Hallo liebe Tatjana,
vielen Dank für deinen kritischen Einwand. Aktuell dürfte es inzwischen 1 Million dieser großen Camping-Fahrzeuge und Kastenwagen in Deutschland geben (mit Wohnwagen zusammen nochmal deutlich mehr) und ich für meinen Teil wüsste nicht, wie man diese unglaublich große Zahl derart umfunktionieren könnte, um die ästhetische Beeinträchtigung des Stadtbilds und die Dauerbelastung von Parkflächen zu reduzieren. Mein Ansatz mit meiner damaligen, erfolglosen Petition war, dass auch Wohnmobile (ebenso wie Wohnwagen) nur noch zwei Wochen auf demselben Platz stehen dürfen, um die Besitzer dazu zu bringen, sich einen festen Stell- oder Hallenplatz irgendwo zu mieten. Aber selbst das aktuell bestehende Gesetz mit der 2-wöchigen Frist wird von vielen einfach umgangen, indem der Wohnwagen innerhalb dieser zwei Wochen einfach um 5 oder 10 Zentimeter bewegt wird und damit wieder zwei Wochen kostenfreie Parkzeit zur Verfügung stehen.
Die meisten Menschen stört es offenbar nicht bzw. sie haben sich daran gewöhnt, daher kann ich an dieser Stelle nur meinem Pessimismus freien Lauf lassen und vermuten, dass sich hier nichts gravierend ändern wird. Ach ja, und dann gibt es auch noch den ADAC, der als Lobbyorganisation überall seine Finger im Spiel hat, seine 20 Mio. Mitglieder entsprechend beeinflusst und mit Camping, Schutzbrief und Abschleppdienst SEHR viel Geld verdient.
Sorry, das war jetzt noch mehr Pessimismus :) Beim nächsten Thema schaffe ich es vielleicht wieder!
Liebe Grüße und Danke für die Inspiration
Ute
Hallo Ute! Insgesamt sehe ich vieles ähnlich, was du geschrieben hast. Wir ärgern uns auch sehr über diese Vanlifeblase mit den von dir beschriebenen Nebenwirkungen! Seit Jahrzehnten bin ich mit Zelt, Schlafsack und Fahrrad unterwegs gewesen. Später dann mit Auto und Zelt und vor 10 Jahren fingen wir an uns 1x im Jahr einen Camper zu mieten. Nun haben wir tatsächlich das große Glück, seit 1 Jahr ein eigenes 7 m Wohnmobil unser eigenes nennen zu dürfen! Parallel zum Kauf haben wir uns einen teuren Stellplatz besorgt, damit er untergestellt ist, wenn wir ihn nicht brauchen. Unser Zelt haben wir natürlich auch noch und würden nie darauf verzichten! Es ist einfach nicht das Gleiche und Unvergleichlich im Zelt zu schlafen! Wir hoffen tatsächlich so inständig darauf, dass die Neucamper die Lust daran verlieren mit ihren ,,weißen Riesen“ unterwegs zu sein. Es ist teilweise wirklich unerträglich geworden, was, wer und womit die Umwelt verpestet wird! Wir lieben unser Wohnmobil sehr und das damit fest verbundene Bett, aber es verpflichtet uns zu nichts! Das langsame Reisen geht damit tatsächlich sehr gut, und wir nutzen es meist als ,,Tiny Home“. Die ganzen Auswüchse rund um den Wohnmobil Hype wird es mit Sicherheit nicht endlos lange mehr geben. Den Leuten geht langsam auf, das es viele Nachteile mit so einem Fahrzeug gibt, und viele werden die Lust daran verlieren. Liebe Grüße